Schon vor 10 Jahren beim Verfassen der Broschüre „Mädchen in Sicht“ stellten die Kolleginnen fest, dass moderne Mädchen das Bild vermitteln „stark und selbstbewusst“ zu sein. Aber schon damals haben sich nicht unbedingt die Mädchen selbst, sondern vor allem die Mädchenbilder verändert.
„Das neue Mädchenbild…
stellt ein Mädchen vor, das selbstbewusst ist und geradeheraus ihre Meinung sagt, sich von niemandem in ihre Pläne reinreden lässt, sehr klar Bescheid weiß über sich und die Welt, in der sie sich bewegt, und trotzdem Spaß hat – viel Spaß.
Natürlich sieht sie obendrein noch gut aus, ist sich ihres Körpers bewusst, genießt ihn, nutzt ihn als Quelle der Lust. Sie weiß Bescheid über Trends, sie kennt sich aus, ohne dabei ihre Besonderheit zu verlieren. Sie wird ihren Weg gehen.“
(Stauber, in Beiträge 1999, S.54)
Derzeit gelten Mädchen nicht länger als benachteiligt.
Das neue Selbstverständnis, das fast durchgehend durch die mediale Welt vermittelt wird, stellt folgendes Mädchenbild vor:
Mädchen sind schön und stark, schlank und sexy. Sie glänzen aber nicht nur durch ihr Aussehen sondern sind ebenso selbstbewusst und schlau, da sie gut gebildet und ausgebildet sind. Sie sind heterosexuell, aufgeklärt und sexuelle aktiv. Mädchen sind weiblich, anschmiegsam und familienbezogen zugleich aber auch cool, selbständig und berufsorientiert. Sie zeigen selten Schmerz und Probleme, scheitern im Gegensatz zu Jungen jedoch selten.
Damit aber nicht genug, addieren sich diese neuen Mädchenbilder zu den klassischen Mädchenbildern dazu. Diese alten Ansichten (Mädchen sind sittsam, brav, sorgen sich, sind zuverlässig, ordentlich usw.) bleiben erhalten. Einige sind zwar durch die mediale Welt verdeckt, sind aber hoch wirksam, da sie oft seit frühster Kindheit „eingeimpft“ wurden. Einige sind in den letzten Jahren verstärkt worden, am deutlichsten zu sehen bei den Schönheitsidealen. Sendung im Fernsehen, Zeitschrift haben immer schon schöne Menschen abgebildet, aber in den letzten Jahren boomen Sendungen wie „Topmodel“ und diverse Castingshows, in denen es darum geht, dass eine perfekte Schönheit notwendig ist, um erfolgreich zu sein. Diese Bilder sind sichtbar, Wahrheiten hinter den Kulissen (z.B. Magermodells, Fotobearbeitung, Kurzlebigkeit von Erfolg, Bearbeitung von Stimmen im Tonstudio) sind es nicht.
Die Mädchenbilder täuschen über die Realität der Mädchen hinweg und drängen sie weiterhin in Rollenkonflikte. Für Jungen und junge Männer wollen und sollen sie attraktiv sein, für Mädchenarbeiterinnen sollen sie selbstbewusst, frei und fordernd sein und vor allem stark. In der Familie sollen sie Freundin der Mutter sein und deren Probleme mittragen. Andererseits sollen sie sich schon früh sehr selbständig zeigen, um die richtigen berufsbezogenen Entscheidungen zu treffen.
Mädchen sind mit einer Welt konfrontiert, die ihnen zwar gleichberechtigt erscheint, alle Chancen verspricht und ihnen Modernität suggeriert. Dabei ist sie im Wesentlichen nur eins: rollenkonservativ – widersprüchlich – überfordernd.
„Durch gesellschaftliche und mediale Extrembilder von emanzipierten und selbstbewussten Mädchen auf der einen Seite und von Jungen als Bildungsverlierer auf der anderen Seite werden Lebensrealitäten von Mädchen und Jungen und tatsächliche Unterstützungsbedarfe verzerrt wahrgenommen.“
(Bundesarbeitsgemeinschaft Mädchenpolitik e.V.„ Gleichberechtigung für Mädchen und jungen Frauen!“, 2009)
Die Mädchenbilder gaukeln eine unbegrenzte Erreichbarkeit vor
„Alles ist möglich, wenn du nur willst“
Die Tatsache der häufig traditionell gefällten Lebensentscheidungen zeigt die Kehrseite der Medaille: „Wenn du es nicht schaffst, bist du selber schuld“ Aber Bewältigungsprobleme kennen die Mädchenbilder nicht. Probleme zu haben ist „out“, sie passen nicht zu Selbständigkeit und Eigenwilligkeit. Die Mädchenbilder haben also einen konfliktverdeckenden Charakter.
Die große Herausforderung an Mädchen heute ist es, diese widersprüchlichen Erwartungen irgendwie zu vereinbaren. Sie müssen die Fülle an Möglichkeiten sortieren und aus der Vielfalt an Möglichkeiten und Chance das Eigene auswählen. Das Jonglieren mit diesen vielen Aufgaben und unzähligen Anforderungsbereichen erscheint nahezu unmöglich. Die Mädchen tragen ihre individuelle Verantwortung für sich selbst und müssen sich und ihre Zukunftsvorstellungen abwägen, auswählen und von gesellschaftlichen Einschränkungen unterscheiden lernen.
Die echten Mädchen müssen die Spannung aushalten zwischen den neuen Bildern der „starken Mädchen“, die sie gern sein wollen und der Unmöglichkeit diesen Bildern tatsächlich zu entsprechen. Mädchen bleiben demnach, wie schon viele vor ihnen weiterhin „Expertinnen des Zwiespalts“. Die inneren Konflikte der Mädchen werden durch die neuen Mädchenbilder ungleich größer und heftiger, da die gesellschaftlichen Rollenkonflikte zur persönlichen Bewältigungsaufgabe eines jeden Mädchens gemacht werden.
Diese Widersprüche zur eigenen (erlebten) Welt, führen zu Verunsicherungen und dies kann auch gesundheitliche Folgen haben. Essstörungen, die verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers bis hin zum Entwickeln eines Gefühls des Selbsthasses sind möglich. Ebenso können Alkohol und Drogen wegen ihrer Wirkung konsumiert werden, denn so kann man sich selbstbewusster erleben und ist besser drauf – und darauf kommt es ja an. So ist ein Anstieg an alkoholtrinkenden Mädchen zu verzeichnen. Es gibt Zahlen wonach mehr Mädchen zwischen 10 und 15 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden müssen als Jungen. („Die Welt“: „Mädchen trinken mehr als Jungen“, vom 6.10.2010)
Mädchenarbeit ist demzufolge noch immer aktuell und wichtig. Denn es geht darum, Mädchen in diesen komplizierten Prozessen nicht alleine zu lassen, sondern ihnen da, wo sie es wollen, Hilfestellung zu bieten.
(Text: Meike Kirchhübel, Stadt Braunschweig)